Qualitätsentwicklung

Qualität entwickeln

Qualitätsentwicklung unterscheidet sich von Monitoring und Evaluierung und ergänzt sie. Strukturierte Qualitätsentwicklung bedeutet, alle Phasen und Aspekte eines Projekts oder einer Maßnahme zu reflektieren, mit dem Ziel, Bereiche zu finden, in denen Verbesserungen vorgenommen werden können. Monitoring- und Evaluierungsdaten und -ergebnisse können Informationen für die Qualitätsentwicklung liefern.

Qualitätsentwicklung erarbeitet auf formalem Wege Strategien zur Maximierung des Potenzials einer Maßnahme, setzt sie um und evaluiert sie, einschließlich des Vermögens Qualitätsstandards zu erfüllen und zu übertreffen. Sie kann in jeder Phase einer Maßnahme angewendet werden und zielt immer auf eine Verbesserung ab, unabhängig vom Ausgangspunkt.

Sie kann auch eine Qualitätssicherung beinhalten, die auf formalem Weg die Qualitätsstandards (sofern vorhanden) der Angebote und Aktivitäten überwacht, z. B. durch Revision, Problemerkennung und Korrekturmaßnahmen. Qualitätssicherungsverfahren sind besonders für standardisierte und routinemäßige Elemente geeignet, wie z. B. medizinische und strukturierte Abläufe.

Wirksamkeit kann optimiert werden durch ein besonderes Augenmerk nicht nur darauf, „das Richtige zu machen“, sondern auch darauf, „das Richtige richtig zu machen“. Dies soll dafür sorgen, dass Entscheidungen darüber, was zu tun ist und welche Methoden zum Einsatz kommen sollen, auf den bestmöglichen wissenschaftlichen Belegen, Kenntnissen und Erfahrungen beruhen. Außerdem geht es darum, dass die gewählten Maßnahmen geplant, umgesetzt, überwacht und evaluiert werden, um so ihre potenzielle Wirkung zu optimieren.

Qualitätsentwicklung hebt hervor, was bereits gut gemacht wird und fördert so die Motivation und die Arbeitsmoral. Sie ermutigt Teams, das niedrigschwellige Beratungs- und Testangebot als Ganzes zu reflektieren und nutzt die Beteiligung weiterer Akteur*innen, um Verbesserungs- und Innovationsmöglichkeiten zu erkennen und diese in konkrete, praktische Schritte zu unterteilen.

Aus der Anwendung strukturierter Qualitätsentwicklungsinstrumente in einer sicheren Arbeitsatmosphäre, die Selbstreflexion ermöglicht, und unter Beteiligung aller wichtigen Akteur*innen (um die Vielfalt der Sichtweisen zu steigern), können sich unerwartete Einsichten und innovative, kreative Verbesserungen ergeben.

Hier ein paar Schlüsselfragestellungen, mit denen eine strukturierte Qualitätsentwicklung angestoßen werden kann:

  • Gibt es für die Arbeit Qualitätskriterien oder -standards?
  • Gibt es Beispiele guter Praxis (Good Practice)?
  • Brauchen wir ein Instrument, das uns dabei hilft, unsere Arbeit zu reflektieren?
  • Brauchen wir fachliche Unterstützung, um Qualitätsentwicklung einzuführen?

Strukturierte Qualitätsentwicklungsinstrumente in Form von Fragebögen und Moderationsanleitungen, einschließlich eines Leitfadens für die Auswahl der Instrumente sowie Online-Lernmaterialien sind auf www.pq-hiv.de und www.qualityaction.eu erhältlich. Es ist empfehlenswert, klein anzufangen, z. B. indem man einen einzelnen Abschnitt eines der Instrumente in einer Teamsitzung anwendet und so einen Raum für Selbstreflexion schafft, in dem alle Sichtweisen und Ideen respektiert werden. Sobald die Teilnehmenden eine gute Erfahrung mit Qualitätsentwicklung gemacht haben und die Vorteile für ihre eigene Arbeit erleben, sind sie eher bereit sich darauf einlassen und wollen sie beim nächsten Mal möglicherweise das ganze Instrument anwenden.

Auf www.pq-hiv.de findest du Praxisbeispiele aus Deutschland von Projekten, die einen strukturierten Qualitätssicherungsprozess gemacht haben. Auf www.quality-action.eu gibt es eine Datenbank inklusive Suchfunktion mit europäischen Fallstudien von Teams, die diese Arbeit gemacht haben. Ein europäisches Netzwerk von Schulungsleiter*innen und Moderator*innen, die Erfahrung in der Qualitätsentwicklung und der Anwendung der Instrumente haben, bietet technische Unterstützung und Ratschläge an, die den Einstieg in die Qualitätsentwicklung erleichtern können.

Es lohnt sich, die Praxisbeispiele und die Tools einmal in Ruhe anzusehen. Strukturierte Qualitätssicherung ist kein „Hexenwerk“ und viele der Tools sind auch für kleine Projekte und mit geringem Ressourceneinsatz nutzbar.

 

Innovation und Erweiterung

Früher oder später stellt sich in vielen Projekten die Frage nach einer Erweiterung und Verbesserung des Angebots, der Integration neuer Dienstleistungen oder verstärkter Kooperation mit anderen Angeboten. Prozesse und Dienstleistungen können nach und nach eingefahren sein und mögen einer Optimierung bedürfen. Neue Themen und Herausforderungen können eine Veränderung des Angebots und innovative Prozesse und Dienstleistungen erfordern.

Eine strukturierte Qualitätsentwicklung – wie auch jede andere Art reflexiver Praxis – ergibt nicht nur praktische Schritte zur Verbesserung des Betriebsablaufs, sondern erkennt oft auch Hindernisse, die außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs des Beratungs- und Testangebots liegen und deshalb zu Anliegen für die Interessensvertretung werden (siehe auch den Abschnitt „Interessensvertretung“).

Die Berücksichtigung einer Vielfalt an Sichtweisen macht es wahrscheinlicher, dass unerfüllte Bedarfe und Versorgungslücken aufgedeckt werden, die das Beratungs- und Testangebot bedienen könnte, indem es den eigenen Angebotsumfang über die HIV/Hepatitis-Beratung und -Testung, Information und Weiterverweisung hinaus erweitert.

Frage dreizehn des Euro HIV EDAT-Selbsteinschätzungsrasters konzentriert sich auf die Entwicklung zusätzlicher Kapazitäten und die Integration neuer Präventionsmethoden.

Erweiterung des Angebots

Niedrigschwellige Beratungs- und Testangebote für drogengebrauchende Menschen können überlegen, ihre Arbeit z. B. in diesen Bereichen zu erweitern:

  • Reichweite (z. B. durch Erweiterung um aufsuchende/mobile Angebote, oder durch die Ansprache neuer Untergruppen der Zielgruppe)
  • Zugang (z. B. durch Änderung oder Erweiterung der Öffnungszeiten)
  • zusätzliche Tests (z. B. umfassende STI-Checks)
  • zusätzliche Angebote wie z.B. Hepatitis-A-/B-Impfungen
  • Angebote für Chemsex-Nutzer
  • Zusätzliche medizinische Versorgungsangebote (z. B. Substitution)
  • Zusätzliche psychosoziale Angebote (z. B. Beratung, Gruppenarbeit etc.)
  • Netzwerke (z. B. Anbindung an andere Projekte für drogengebrauchende Menschen).

Fort- und Weiterbildung

Zu einer praxisnahen Qualitätsentwicklung gehört die kontinuierliche Fortbildung der Projektmitarbeitenden, aber auch des gesamten Teams. Im Mittelpunkt sollten die Themen stehen, die Einrichtungen mit niedrigschwelligen Angeboten besonders betreffen. Dies sind unter anderem:

  • Fortbildungen zu Safer Use und Safer Sex
  • Infektionsschutz in Bezug auf verschiedene Drogenkonsumformen
  • Anwendung der Testkits / Medizinprodukteschulungen
  • HIV‐ und HCV‐Grundlagen / Spezialisierung
  • Beratungsmethoden / Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing)
  • KISS-Programm

Nur durch einen stetigen Wissenszuwachs gewinnen Mitarbeiter*innen an Sicherheit und können die Themen HIV und Hepatitis in den Fokus der Arbeit der Einrichtung zu stellen. Außerdem bildet ein guter Wissensstand die Grundlage für die Durchführung von Kurzinterventionen.

Siehe auch das Kapitel zu beruflicher Weiterbildung

Zusätzliche Mittel und Ressourcen

Für jede innovative Erweiterung des Umfangs der Dienstleistungen eines niedrigschwelligen Beratungs- und Testangebots können zusätzliche Mittel notwendig werden; diese hängen wiederum von einer überzeugenden Argumentation für eine zusätzliche Förderung ab, die sich auf örtlich relevantes Beweismaterial stützt.

Eine gute Dokumentation partizipativer Prozesse und die Verwendung von Daten aus Monitoring- und Evaluierungsaktivitäten können in der Praxis verankerte und bestätigende Belege liefern. Dies kann dabei helfen, allgemeine epidemiologische oder sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu den ganzheitlichen Bedarfen von drogengebrauchenden Menschen vor Ort relevant zu machen.

Den Ausgangspunkt jedes neuen Angebots bildet ein Projektantrag. Selbstverständlich gilt es, einrichtungs‐ und zielgruppenspezifische Merkmale in den Antrag mit einzubeziehen.

Die inhaltlich‐fachlichen Grundlagen sowie ein Modell eines Finanzierungsplans für solche Anträge findest du hier. Die Kosten können deutlich schwanken. Kostenangaben im Dokument sind daher als beispielhaft anzusehen .

Aktuell bieten sich unterschiedliche Förderwege an: Neben dem klassischen Förderweg, dem Antrag an Kommune oder Land, können Mittel auch über Stiftungen wie z. B. die Aktion Mensch eingeworben werden.

Erfolgversprechend erscheint insbesondere eine Mischfinanzierung, bei der die Träger die notwendigen Vorgespräche mit der für sie zuständigen KV (Kassenärztliche Vereinigung) führen. Ziel sollte sein, für eine*n Projektärzt*in (sofern vorhanden) die Genehmigung eines temporären Arztsitzes zu erhalten. Dies bedeutet, dass alle Kosten, mit Ausnahme der Personalkosten für die Berater*innen, über die KV abgerechnet werden können. Dies kann die Chancen einer Bewilligung von kommunalen Mitteln oder Mitteln des Landes erheblich steigern.

Darüber hinaus kann eine Finanzierung über die pharmazeutische Industrie angestrebt werden. Hierzu gilt es, Gespräche mit jenen Firmen zu führen, die aktuell Medikamente zur Behandlung von HIV und Hepatitis C auf dem Markt haben. Um die Unabhängigkeit zu wahren, ist eine Mischfinanzierung durch mehr als eine Firma empfehlenswert.

Siehe hierzu auch das Kapitel zu Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit.