Mit möglichst nur einem Termin einen HCV-PCR-Test in der offenen Drogenszene anbieten? In Bielefeld gibt es seit einigen Monaten ein Modellprojekt hierzu. IVD-Toolkit.de hat Ulrich Pfaff von der Drogenberatung Bielefeld zu den ersten Erfahrungen interviewt.
ivd-toolkit: Hallo Uli, ihr habt kurz vor dem Beginn der Coronapandemie mit einem Projekt zur Diagnostik und Therapie in der offenen Drogenszene angefangen. Kannst du uns das Projekt kurz beschreiben?
Ulrich Pfaff: Unser Ziel ist es, den drogengebrauchenden Menschen, die wir in der Szene in Bielefeld antreffen, vor allem denjenigen, die wir über den Konsumraum erreichen, ein niedrigschwelliges Test- und Beratungsangebot zu HCV anzubieten und ihnen einen Zugang zur Therapie der Hepatitis C zu ermöglichen. Die meisten Menschen, die bei uns in Substitution sind, sind inzwischen erfolgreich behandelt, daher können wir mit diesem Angebot die anderen drogengebrauchenden Menschen erreichen und ihnen einen einfachen Zugang zu Diagnostik und Therapie anbieten.
ivd-toolkit: Wie sieht das konkret aus?
Ulrich Pfaff: Wir haben uns überlegt, wie wir die Diagnostik und den Zugang zur Therapie für unsere Nutzer*innen vereinfachen können. Ein Antikörpertest macht aus unserer Sicht wenig Sinn, da der Anteil an positiven Testergebnissen ja doch sehr hoch ist und ihnen dann ja nach dem vorliegenden positiven Testergebnis sowieso noch Blut abgenommen werden muss. Mit jedem notwendigen zusätzlichen Termin, zu dem die Nutzer*innen wiederkommen müssen, besteht die Gefahr, dass Menschen auf dem Weg verloren gehen. Daher wollten wir den Weg von der Diagnostik bis zur Behandlung möglichst einfach machen. Über den Konsumraum haben wir einen guten Zugang zu den drogengebrauchenden Menschen in der offenen Szene, dort können wir sie gezielt auf den HCV-Test ansprechen und diesen dann auch direkt im angrenzenden Ambulanzraum durchführen.
ivd-toolkit: Welches Testverfahren bietet ihr an?
Ulrich Pfaff: Wir können Vor-Ort quantitative HCV PCR-Tests mit der GenXpert®-Maschine anbieten. Die Nutzer*innen des Konsumraums kennen „uns“. Wir haben den großen Vorteil, dass wir eine niedergelassene Praxis, die Suchtmedizin macht und das Drogenhilfezentrum mit einem niedrigschwelligen Konsumraum auf einem Gelände haben, also quasi „unter einem Dach“, und die Wege daher kurz sind und wir Sozialarbeiter*innen, medizinisches Personal und Ärzte Vor-Ort haben. Über einen Projektantrag können wir dieses Testverfahren finanzieren und somit innerhalb von nur einer Stunde die Menschen identifizieren, die eine behandlungsbedürftige HCV-Infektion haben.
ivd-Toolkit: Wie sieht das konkret aus?
Ulrich Pfaff: Wir sprechen die Nutzer*innen konkret an, wenn sie unser Angebot, wie z.B. den Konsumraum, nutzen. Meist nimmt Caro Reese, die untersucht nämlich hauptsächlich, sie direkt nach dem Konsum mit in den Ambulanzraum. Da braucht man etwas Fingerspitzengefühl, denn rund um den Konsum ist das natürlich nicht immer so einfach. Das Feedback ist sehr gut und das Interesse hoch. Inzwischen sprechen auch mich Menschen aktiv an, wenn ich ihnen auf dem Gelände über den Weg laufe. Für den Test wird dann im Ambulanzraum neben dem Konsumraum Kapillarblut aus der Fingerbeere entnommen. Das wird in eine Kartusche eingelegt und diese dann in der GenXpert®-Maschine innerhalb einer Stunde ausgewertet. Die Maschine ermöglicht die Aufnahme von zwei Kartuschen gleichzeitig, das nutzen wir aber selten, da wir die Nutzer*innen selten zeitnah zusammen zum Test bekommen. Wenn der PCR-Nachweis positiv ist, dann suchen wir das Gespräch mit den Menschen, um mit ihnen über eine Therapie ins Gespräch zu kommen. Hier hilft uns die Nähe zur niedergelassenen Praxis sehr. Der Weg von Beratung über Test und Diagnose bis zur Therapie ist daher sehr kurz und unkompliziert.
ivd-toolkit: Wie sind eure Erfahrungen im Projekt bisher?
Ulrich Pfaff: Man muss bedenken, dass wir das Projekt kurz vor Beginn der Coronapandemie gestartet haben. Diese hatte natürlich einen erheblichen Einfluss auf die Umsetzung. Anfangs mussten wir uns mit der Maschine vertraut machen und uns in die Blutentnahme etwas einarbeiten, da braucht man schon etwas Übung. Als wir das dann gut im Griff hatten, kamen die coronabedingten Einschränkungen. Wir hatten zwar nicht geschlossen, aber der Zugang zu unseren Angeboten war deutlich eingeschränkt auch die Aufenthaltsdauer auf dem Gelände auf ½ Stunde verkürzt. Viele Nutzer*innen kamen seltener oder gar nicht. Viele, die das Testangebot wahrgenommen haben, haben die Stunde, die der Test benötigt, auch deswegen nicht warten können. Daher haben wir die Menschen, die das Testergebnis nicht unmittelbar mitgeteilt bekommen haben, notiert und sprechen sie dann schnellstmöglich an. Da viele derzeit seltener oder gar nicht zu uns kommen, konnten wir daher noch nicht mit allen das Beratungsgespräch zur Behandlung führen. Bislang konnten wir 85 Tests während des Projekts durchführen. 40 Ergebnisse weisen auf eine behandlungsbedüftige HCV-Infektion hin. Bislang konnten wir 10 Personen behandeln, einige stehen derzeit unmittelbar an, viele konnten wir noch nicht erreichen, da sie grad nicht auftauchen.
ivd-toolkit: Wo liegen sonst noch die Herausforderungen im Projekt?
Ulrich Pfaff: Wir mussten immer wieder feststellen, dass es doch eine Hürde für viele Menschen ist, wenn sie für bestimmte Leistungen die Arztpraxis aufsuchen müssen. Obwohl diese ja direkt auf dem Gelände ist und es maximal 50 Meter Fußweg vom Konsumraum bis zur Praxis sind, so war es doch schwierig für einige, wenn sie bei Behandlungswunsch die Blutabnahme für das Assessment der Leber und die Bestimmung des HCV-Genotyps in der Praxis machen sollten. Daher führen wir die Blutentnahme hierfür inzwischen auch im Ambulanzraum in der Drogenhilfe durch. Die Testbereitschaft ist sehr hoch, aber es bleibt schwieriger, die Bereitschaft zur Therapie herzustellen. Wenn die Menschen die Therapie durchgeführt haben, dann war sie auch erfolgreich.
ivd-toolkit: Oft gibt es ja Vorbehalte, dass die Therapieadhärenz bei drogengebrauchenden Menschen nicht so gut ist …
Ulrich Pfaff: Das ist oft ein Vorurteil. Das zeigt auch unsere Corona-Impfrate. 92% unserer Nutzer*innen sind geimpft und wir sind schon fleißig bei der Auffrischungsimpfung. Viele Studien haben ja inzwischen gezeigt, dass die regelmäßige Einnahme und Therapietreue auch bei Drogengebrauchenden gut klappt und das bestätigen auch unsere Erfahrungen. Die Absprachen mit den Nutzer*innen hat hier immer gut geklappt. Einigen geben wir das Rezept direkt mit und sie lösen es selbst ein. Und das klappt! In der Regel erhalten sie die Medikamente aber wochenweise über die Drogenhilfe. Sie suchen den Konsumraum und unser Angebot ja eh regelmäßig auf, daher funktioniert das sehr gut. Eine tägliche Vergabe der Medikamente ist bislang noch nicht vorgekommen.
ivd-toolkit: Wie sieht es mit den Kosten aus?
Ulrich Pfaff: Die Kartuschen, in die das Kapillarblut eingeführt wird, sind nicht günstig. Die kosten etwa 40 EUR/Stück. Auch die Anschaffung der Maschine ist natürlich ein Kostenfaktor. Wir können dieses über den Projektantrag finanzieren. Ansonsten gibt es für die Maschine auch verschiedene Leasingangebote. Die Vorteile, die wir durch das Verfahren haben, wiegen aber aus meiner Sicht die ggf. höheren Kosten auf. Wenn man die Kosten über die Krankenkassen abrechnen will, wird es natürlich aufwändiger, da dann die Zertifizierung als Labor nötig ist. Wir haben den Vorteil der Projektförderung und das wir medizinisches Fachpersonal im Projekt haben, das das Testverfahren durchführen kann. Da muss man Vor-Ort bei der Projektplanung individuell schauen, welche Lösungen im konkreten Fall passen. Inzwischen gibt es eine Reihe von Organisationen, die das PCR-Verfahren anbieten. Und das ist sogar in mobilen Angeboten problemlos möglich.
Ivd-toolkit: Welche Tipps möchtest du Organisationen mitgeben, die überlegen, dieses Verfahren selbst zu implementieren?
Ulrich Pfaff: Eine große Herausforderung ist es, den Weg von Test über das Ergebnis bis zur Behandlungsbereitschaft und Behandlung zu organisieren. Kurze Wege und ein Eingehen auf die Bedürfnisse und Lebenswirklichkeit der Nutzer*innen ist hier wichtig. Hierfür halte ich auch einen engen Kontakt und ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Drogenhilfe und suchtmedizinischer Praxis für unbedingt notwendig, um den Zugang zur Behandlung der Hepatitis C sicherzustellen. Vertrauen und Kontaktpflege sind aus meiner Sicht auf allen Ebenen entscheidend.
ivd-toolkit: Wenn Organisationen sich mit der Einführung des PCR-Testverfahrens beschäftigen, tauchen bestimmt noch einige Fragen auf. Können diese euch bei Fragen zum Projekt erreichen?
Ulrich Pfaff: Na klar. Ich stehe bei Fragen gerne zur Verfügung. Wenn es um die konkrete Arbeit mit der GenXpert geht, bin ich als Arzt allerdings nicht so gut drin, wie zum Beispiel meine Kollegin Carolin Reese. Hier kann ich gerne den Kontakt vermitteln oder es kann auch mit ihr direkt der Kontakt aufgenommen werden.
Unsere Kontaktdaten:
Ulrich Pfaff: ulipfaff [at] gmail.com
Carolin Reese: reese [at] drobs-bielefeld.de
ivd-toolikit: Herzlichen Dank für das Gespräch, Uli.
Interview: Matthias Kuske